SMILLA, DER HUND, DER VERSCHWAND

Die Hundin Smilla, der Liebling aller Familienmitglieder. Foto/Rebecka Frey

Als ich Smilla das erste Mal traf, war sie ein zauberhafter kleiner Welpe, in den ich mich sofort verliebte. Ihr Besitzer, ein Schmied, hatte sie an seinem Auto festgebunden, während er Pferde beschlug. Ich kam gerade von einer Zuchtschau, als mich die kleine Hündin mit wedelndem Schwanz ansprang, ganz offensichtlich außer sich vor Freude, dass jemand kam und ihr die langweilige Wartezeit verkürzte.

Als ihr Herrchen endlich zurückkam, überfiel ich ihn sofort spontan mit der Frage, ob der Welpe zu verkaufen sei. Auf keinen Fall entgegnete er mir entschieden und erklärte, sie solle seine neue Zuchthündin werden sein, auf die er große Hoffnungen setze.

Ich bin mit einem Border Collie aufgewachsen und war eigentlich immer von jedem Exemplar dieser Rasse, das mir begegnete, begeistert. Aber Smilla war zweifellos der süßeste Border Collie, den ich je gesehen hatte und genau das, wonach ich schon lange suchte.

Ich konnte nicht verstehen, wie man einen solchen Hund so lange allein lassen konnte – doch es half ja nichts, also ging ich traurig davon.

Doch einige Monate später, ich hatte meine Begegnung mit der kleinen Smilla schon fast vergessen, ging eines Abends plötzlich das Telefon. Es war der Schmied, der mich ohne Umschweife fragte: „Willst du sie immer noch?“ Er hatte inzwischen einsehen müssen, dass er keine Zeit für sie hatte, denn er hatte neben seinem anstrengenden Job auch kleine Kinder, um die er sich kümmern musste.

Ich zögerte keine Sekunde und bereute meine Entscheidung auch nicht, als sich schnell herausstellte, dass Smilla bisher ganz offensichtlich noch keinerlei Erziehung genossen hatte – denn das Schicksal hatte uns zusammengeführt, und ich war felsenfest davon überzeugt: Wir waren füreinander bestimmt!

Gerade bei Border Collies ist eine konsequente Erziehung von klein auf ungemein wichtig, aber da nichts in diese Richtung geschehen war, übernahm ich – übrigens zum Entzücken meiner Kinder – einen völlig verrückten, verzogenen Hundewelpen mit allen möglichen Unarten. Es kostete mich viel Zeit, Energie und zum Entsetzen meiner Kinder manchmal auch eine harte Hand, um aus Smilla ein umgängliches Familienmitglied zu machen.

Doch die Mühe sollte sich lohnen:  Nach einer nicht unerheblichen  Zeitspanne, in der wir der kleinen Hundedame ein abwechslungsreiches, ihrer Intelligenz  und ihrem Tatendrang angemessenes Programm boten und ihr mit viel Geduld Benehmen beibrachten, wurde sie der beste Familienhund, den man sich nur wünschen kann.

Sie begleitete mich auf Ausritten, zog geduldig meine Kinder auf ihren Kickboards oder tollte mit uns auf der Couch herum. Sie folgte mir überall hin und musste nie angeleint werden. Sie wurde für uns alle ein vollwertiges, heißgeliebtes Familienmitglied.

Viele Jahre später, als aus unserem Hundebaby längst eine alte Hundedame von vierzehn Jahren geworden ist, begleitet Smilla wie jeden Tag meine Mutter und deren Hündin zum Pilze sammeln in die wunderschönen Wälder rund um Kolmården. Alle drei kennen die Gegend wie ihre Westentasche und wissen, an welchen Plätzen man am meisten Glück hatte Pilze zu finden. Die Hunde lieben diese täglichen Ausflüge, bei denen sie sich gemeinsam austoben und zu zweit nach Herzenslust herumtollen können.

Doch an diesem Tag verschwindet  Smilla!

Smilla kannte sich sehr gut im Waldgebiet in der Nähe ihres Wohnortes aus. Foto/Rebecka Frey

Meine Mutter ruft und sucht verzweifelt nach ihr, bevor sie mich aufgeregt anruft. Was ich höre, will ich nicht glauben, denn ich weiß: Smilla würde niemals einfach davonlaufen. Also muss ihr etwas zugestoßen sein, das ist mir sofort klar!

Ich reagiere wie im Fieber, melde mich sofort von meiner Arbeitsstelle ab und rufe meinen Sohn an, der sich, ohne auch nur einen Augenblick zu zögern, mit seiner Freundin auf den Weg macht, um mir beim Suchen zu helfen.

Smilla ist weg, wirklich weg, hämmert es immer wieder in meinem Kopf. Wahrscheinlich braucht sie Hilfe. Wir müssen sie finden, bevor es zu spät ist!  

Wir beginnen mit der Suche in der Gegend, in der meine Mutter immer Pilze sammelt. Es ist ein großes Waldgebiet mit dichten Fichten, was die Suche enorm erschwert.

Schlimme Bilder bohren sich mir gnadenlos und unkontrolliert ins Gehirn und ich werde sie nicht los: Ich sehe Smilla hilflos und schwer verletzt im dunklen Wald und unweigerlich schießen mir die Tränen in die Augen. Gleichzeitig versuche ich verzweifelt klar zu denken, denn nur so wird es eine Chance geben sie zu finden.

Ich bin es, die sie am besten kennt, also kann ich mich vielleicht in sie hineinversetzen und ihre Wege ergründen. Auch klammere ich mich an den Gedanken, dass es eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen uns beiden gibt, die mich zu ihr führt.

Aber alles Suchen und Hoffen bleibt vergeblich und wir müssen umdenken. Ein Aufruf auf Facebook soll uns helfen weitere Helfer zu mobilisieren.

Tatsächlich melden sich viele hilfsbereite Menschen. Einige von ihnen kennen mich als ihre Tierärztin, aber auch viele fremde Menschen sind dabei, mitfühlende Menschen, die sich vorstellen können, was es bedeutet, einen Hund zu verlieren, Menschen, die  einfach nur helfen wollen, ein vermisstes Tier wiederzufinden.

Ich bin sehr dankbar, als eine Helferin mit ihrer dänischen Dogge namens Mammut die Führung übernimmt. Sie ist seit Jahren mit ihren Hunden bei mir in tierärztlicher Behandlung, aber ich hatte natürlich bisher keine Ahnung von Mammuts Qualitäten als Suchhund.

Für kurze Zeit keimt Hoffnung in mir auf, doch je länger wir den Wald durchkämmen, desto klarer ist, dass die Chance immer kleiner wird, Smilla lebend zu finden, und ich habe auch keine Idee mehr, wo wir noch suchen sollen. Mammuts Besitzerin nimmt dennoch weiterhin tapfer ihre Führungsrolle wahr, als sie meine Mutlosigkeit erkennt. Sie teilt den Wald systematisch in Suchgebiete auf und verteilt die Helfer entsprechend – doch leider ohne Erfolg.

Smillas Treue war einmalig und sie wäre nie alleine ohne die Bezugsperson weggegangen. Foto/Rebecka Frey

Unter allen Freiwilligen fällt mir ein junger Mann mit seiner ebenso jungen Border-Collie-Hündin auf. Der schöne Hund erinnert mich an Smilla in ihrer Jugend, als sie unbegrenzte Kraftreserven zu haben schien und niemals aufgab. Ich muss diesen Gedanken sofort aus meinem Kopf verbannen, um nicht laut loszuheulen.

Als der Abend hereinbricht, ist der junge Mann der einzige, der bleibt. In der sich ausbreitenden Dunkelheit setzt er die Suche mit einem Scheinwerfer entlang der angrenzenden Autobahn fort.

Ich selbst habe aufgegeben und nehme alles nur noch durch einen dichten Tränenschleier war. Zusammen mit meiner Familie machen wir uns schließlich auf den Heimweg, um uns aufzuwärmen und etwas Schlaf zu finden, denn in der nun herrschenden Finsternis ist jegliche Suche zwecklos.

Dort, wo Mama normalerweise das Auto parkt, lassen wir eine  Decke und etwas Futter zurück, für den Fall, dass Smilla dorthin zurückfinden sollte, doch im tiefsten Innern habe ich keine Hoffnung, dass dies  passieren könnte. Das einzige, was mich noch trägt, ist die Entschlossenheit der Helfer nicht aufzugeben.

Am kommenden Morgen wollen alle die Suche fortsetzen.

Ich bin zutiefst berührt von der Hilfsbereitschaft von den zum Teil wildfremden Menschen und kann meine Dankbarkeit nicht in Worte fassen.

Im Morgengrauen sind tatsächlich alle wieder da und wir setzen unsere Suche am Parkplatz fort.

Die Decke und das Futter sind unberührt geblieben, wie ich es befürchtet hatte.

Doch in der Nacht war mir ein Einfall gekommen und ich schwor mir, dass dies die letzte Maßnahme sein sollte, bevor ich mir eingestehen musste, dass jede weitere Aktion eine unzumutbare Zeitverschwendung für all die selbstlosen Helfer sein würde.

Aber diesen letzten Versuch wollte ich noch unternehmen, denn ich würde es mir nie verzeihen, wenn wir in Smillas Nähe gewesen wären und sie nicht gefunden hätten!

Ich bitte meine treuen Helfer, eine Menschenkette durch den dichten Fichtenwald zu bilden, damit wir auch wirklich jedes Fleckchen absuchen und nicht versehentlich einen auch noch so kleinen Winkel übersehen.

Alle sind sofort einverstanden und wir schreiten so noch einmal systematisch alle Wege bis zu einem schwer zugänglichen, sumpfigen Gebiet ab – und plötzlich sehe ich sie! Sie kauert im Gebüsch, schaut aber nicht in meine Richtung.

Sofort schießen mir die Freudentränen in die Augen, und als sie sich umdreht, spüre ich, wie glücklich auch sie ist. Ich fliege auf sie zu und nehme sie in die Arme, benommen von der zurückliegenden Anspannung und fassungslos vor Glück.

Smilla hat ihr Leben im doppelten Sinne ihrer Besitzerin zu verdanken. Foto/Rebecka Frey

Langsam nähern sich die anderen, und auch sie sind überwältigt von diesem Moment. Die Freude über den Erfolg der gemeinsamen Suchaktion steht jedem einzelnen ins Gesicht geschrieben.

Alle hatten auch früher schon einmal nach einem verlorenen Hund gesucht, doch in den meisten Fällen war die Suche erfolglos geblieben. Auf dem Heimweg im Auto murmelt der junge Mann immer wieder ungläubig vor sich hin: „Wir haben sie gefunden, wir haben sie tatsächlich lebend gefunden!“

Als wir aus dem Auto steigen, bemerke ich sofort, dass Smilla sehr wackelig und unsicher auf den Beinen ist. Sie kann kaum aufstehen und ihre Augenbewegungen sind unruhig, die Pupillen bewegen sich in schnellen Seitwärtsbewegungen hin und her.

Smilla leidet offensichtlich unter dem sogenannten Vestibular-Syndrom, das sich unter anderem in massiven Gleichgewichtsstörungen und einem Verlust der Orientierung äußert.

Diese Erkrankung tritt häufig und ohne Vorwarnung bei alten Hunden auf und bei Smilla war es offensichtlich so heftig, dass sie nach ihrem Sturz nicht gleich wieder aufstehen konnte.

Als es schließlich doch gelang, führte die fehlende Orientierung sie immer weiter fort von den bekannten Wegen, bis sie schließlich im tiefen Dickicht des Waldes strandete und nicht mehr weiterkonnte. Armer kleiner Hund. Ganz allein in der Kälte, verlassen und nass!

Gemeinsame Glücksmomente genießen beide umso mehr nach Smilla’s Abenteuer. Foto/Rebecka Frey

Ich bin froh, eine belastbare Diagnose zu haben und ihr deshalb helfen zu können wieder gesund zu werden.

Nach einigen Wochen ist Smilla tatsächlich fast wieder die Alte, zwar noch ein wenig schwach in den Hinterbeinen, aber mental unverändert. Als wäre nichts geschehen, läuft sie mutig voraus, eine sichere Anführerin, die ihren Weg kennt und der wir uns vertrauensvoll anschließen können.

Der einzige Unterschied zu früher ist, dass sie sich häufiger umdreht und zurückblickt, als wolle sie sich versichern, dass wir in ihrer Nähe sind und sie nicht Gefahr läuft uns zu verlieren.

Rebecka Frey

Aus dem Schwedischen übersetzt

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