Wie alt ich auch werde – eine Begebenheit, die ich erlebt habe, als ich knapp elf Jahre alt war, werde ich nie vergessen. Ich verbrachte, wie schon einige Male zuvor, die Sommerferien als Stallbursche auf demselben Hof. Meine Hauptarbeit – wenn man es so sagen darf – bestand darin,  während der Heuernte die Erntehelfer mit Kaffee, Kuchen und weiterem Proviant zu versorgen.

Hierfür bekam ich immer dasselbe Pferd, einen sechzehn Jahre alten mausfalbfarbenen Wallach, der immer einfach nur Mósi genannt wurde. Wie viele Landjungen wollte ich am liebsten nur gute Pferde reiten. Aber war Mósi denn ein Gæðingur (Gæðingur= herausragendes Reitpferd), fragt sich vielleicht der ein oder andere. Das konnte ich nicht beurteilen, da er schon im fortgeschrittenen Alter war, als ich ihn kennenlernte. Wenn mich nicht alles täuscht, muss er schnell und unerschrocken gewesen sein, als er jung war.

Als ich ihn zu reiten begann, war er schon ein wenig ausgelaugt und die jugendliche Leichtigkeit war längst verschwunden. Jedoch war er immer arbeitswillig, leicht in der Hand und sehr bequem zu sitzen. Auch war er ausgesprochen brav im Umgang. Ich habe Mósi viel zu verdanken. Er war immer  derjenige, der mir die langen Wege erleichtert und mich bei allen schwierigeren Aufgaben unterstützt hat.

Von meiner Seite  aus wäre es ein Vertrauensbruch gewesen, nur ein einziges schlechtes Wort zu verlieren, jetzt, da er gestorben ist und unsere Wege sich schon lange endgültig getrennt haben. Erinnerungen an den alten Mósi wärmen meine Gedanken nicht zuletzt deshalb, weil es mir nicht aus dem Kopf geht, dass ich ihm mein Leben teilweise, wenn nicht sogar ganz zu verdanken habe.

Das hängt mit einem Ereignis zusammen, das sich während meiner Arbeit zugetragen hat, die ich bereits zu Beginn dieses Berichts erwähnt habe. Es trug sich an einem sonnigen Tage bei der Heuernte zu. Ich hatte die Aufgaben, die mir für den Vormittag zugeteilt waren, bereits erledigt und lief mit einer Trense in der Hand zur Weide, um Mósi zu holen, denn es war wieder an der Zeit den Erntehelfern das Mittagsessen zu bringen.

Die Erinnerungen an Mósi wärmen meine Gedanken, da ich ihm mein Leben zu verdanken habe. Bild/María Gísladóttir

Als ich bei Mósi ankam, schaute er mich an, als ob er sagen wollte: „Ach, ist es denn schon wieder soweit?“ Aber er ließ sich wie immer willig zum Haus führen. Dort legte ich ihm den kleinen Sattel auf, den man mir für den Sommer ausgeliehen hatte. Die Bäuerin kam mit dem Proviant, den ich den Erntehelfern bringen sollte. Es war ein recht großer Eimer mit Getränken und einem Sack voll Fladenbrot.

Den Sack band ich am Gurt fest und nachdem ich im Sattel saß, reichte die Bäuerin mir den Eimer hoch, den ich vor meinem Schoß transportieren musste. Als ich mich und mein Gepäck im Sattel ausbalanciert hatte, lief Mósi langsam den Pfad  in Richtung der Mähwiesen am Rande des Berges hinunter. Um dorthin zu gelangen, musste man kreuz und quer durch tiefe Schluchten und Felsspalten reiten. Die schmalen Pfade waren nur ansatzweise zu erkennen.

Es dauerte etwa eine Stunde im Schritt, um sie zu erreichen. Es gab allerdings auch einen anderen Weg zu den Mähwiesen, der viel kürzer war.  Dieser befand sich unterhalb der Schluchten und führte durch ein feuchtes Moorgebiet mit vielen kleinen Teichen und Sumpflöchern. Der Bauer hatte mir jedoch strengstens verboten diesen Weg zu nehmen, da es für mich und das Pferd gefährlich sein könnte.

Bis zu diesem Tag hatte ich immer seine Anweisung befolgt und die Pfade am Rande des Berges genommen. Heute jedoch kam mir, als ich gerade vom Hof weggeritten war, die Idee, es könnte mehr Spaß machen den unteren Weg zu reiten. Vielleicht hat dabei auch eine Rolle gespielt, dass der Bauer mich am Tag zuvor ausgeschimpft hatte, weil ich das Essen zu spät gebracht hatte, obwohl ich dafür nichts konnte.

Ich wollte nicht, dass es ein zweites Mal passierte  und entschied mich wohl auch deshalb  für den kürzeren Weg. Ich wusste auch, dass man am Ende des Weges einen Schlenker in Richtung Berg machen konnte, bevor man von den Erntehelfern gesehen  wurde.


Dann würde es so aussehen, als hätte ich den üblichen Weg genommen. Alles ging recht gut und ich ließ Mósi weitgehend allein den Weg für uns wählen. Er mied alle nassen Moorsümpfe und  versuchte die trockeneren Bereiche zu erwischen. So tippelte er auf den Erdhügeln entlang und ich hatte die Hoffnung , dass alles gutgehen würde. Das schlimmste Gebiet lag jedoch noch vor uns. Wir mussten uns unterhalb der Schlucht „Illagil“ (Name einer Schlucht auf Island), durchkämpfen.

Dort waren die Moorsümpfe am gefährlichsten und es war kaum ein fester Untergrund zu finden. Ich konnte nun jedoch nicht mehr umkehren und überließ Mósi deshalb vollkommen die Entscheidung, wohin er seine Tritte setzen wollte. Doch plötzlich sank er tief ins Moor. Es geschah alles so schnell, dass ich keine Zeit hatte zu reagieren. Da ich nicht fest genug gesattelt hatte, rutsche ich zur Seite und versank so tief im Schlamm, dass nur noch mein Kopf herausschaute und ich weder Hände noch Füße bewegen konnte.

Hätte Mósi herumgestrampelt, wäre ich noch tiefer eingesunken und sicherlich unter dem Pferd erstickt. Es war als ob Mósi es ahnte, denn er machte nicht  die kleinste Bewegung. Lange würden wir zwei es so nicht aushalten können und unweigerlich tiefer und tiefer sinken,  wenn nicht schnell Hilfe kommen würde. Ich habe jedoch nicht einmal den Versuch unternommen nach Hilfe zu rufen: Ich war wie versteinert und still wie ein Grab. Es war, als würde  mich jemand daran hindern zu rufen, obwohl wir nah genug an den Leuten waren und eine Chance bestand, dass sie mich hörten und uns zu Hilfe kämen.

In diesem Augenblick schossen mir viele Gedanken durch den Kopf, doch ich konnte sie nicht sortieren. Merkwürdigerweise verspürte ich keinerlei Angst, was mich bis heute erstaunt , da ich eigentlich keine Hoffnung hatte, dass wir uns aus diesem bodenlosen Sumpf befreien könnten und es schien nur noch der Tod auf uns warten.

Die Leute mähten an diesem Tag  westlich der Schlucht und harkten mit Rechen das Heu zusammen. Da zwischen der Heuwiese und uns ein Hügel lag, konnten die Erntehelfer uns nicht kommen sehen. Doch dann passierte ein kleines Missgeschick, was ich noch heute als Zeichen einer unsichtbaren höheren Gewalt deute. Eines der Mädchen hatte ihren Rechen zerbrochen. Der Bauer nahm die Teile und ging damit zum Zelt, das etwas höher im Hang lag. Von dort aus konnte man einen Teil des Moorgebietes überblicken.

Im Zelt waren Werkzeuge und Ersatzteile  aufbewahrt. Der Bauer wollte wohl einen neuen Rechen holen. Als er aus dem  Zelt kam, warf er einen Blick zum Moor hinüber und sah Mósi im Sumpf stecken. Mich konnte er nicht sehen, was nicht verwunderlich war, da ja nur noch mein Kopf aus dem Boden ragte. Der Bauer rief die Erntehelfer zu sich und bat sie schnell mit Seilen nachzukommen.

Er selbst rannte zu Mósi und mir. Ich bemerkte ihn erst, als er direkt vor uns stand. Im Grunde war der Bauer ein gutherziger Mann, aber er war temperamentvoll und konnte sehr bissig und unangenehm in der Wortwahl werden. Selbst in dieser für mich so misslichen Lage  konnte er sich nicht beherrschen und schimpfte mit mir, bevor er sich an meine Rettung machte.


Er hat mich mit seinen Worten sehr verletzt und ich fand es rücksichtslos und unangemessen mich in dieser Notsituation zurechtzuweisen, nur weil ich nicht ganz seinen Befehlen gefolgt war. Erst nach seiner Strafpredigt begann er mit meiner Rettung und es gelang schließlich mit großer Anstrengung mich aus dem Sumpft zu ziehen.

Mósi blieb währenddessen vollkommen regungslos – selbst als die Männer die Seile um ihn herumlegten, rührte er sich nicht. Ich habe noch nie ein Tier gesehen, dass unter solchen Umständen so ruhig geblieben ist. Doch als die Seile sich strafften, zeigte er  Kraft und Schnelligkeit und kämpfte  sich scheinbar mit nur wenig Anstrengung aus dem Sumpf. Anschließend schüttelte er sich und blickte das Moorloch böse an.

Ich möchte nicht beschreiben, wie ich nach diesem Schlammbad ausgesehen habe. Was den Proviant anbetrifft, so ist der Eimer samt seines Inhalts im Sumpf verschwunden und nie wieder aufgetaucht. Der Sack mit dem Fladenbrot, der an meinem Gurt befestigt war, konnte  als einziges gerettet werden, aber nach dem Schlammbad war das Brot nicht mehr sehr appetitlich.

Ich  habe dem Bauer nie für meine Lebensrettung gedankt. Ich war wohl zu verletzt von seiner scharfen Zurechtweisung, bevor er mir aus meiner furtchtbaren Lage half. Aber ich erinnere mich sehr genau, dass ich danach zu Mósi ging, mich an ihn schmiegte, ihn streichelte  und ihm dankte. Das Pferd hatte in dieser schlimmen Situation mehr Rücksicht auf mich genommen als der Bauer! Mósi ist zwar nur ein Tier, aber er hatte die Gefahr gespürt und indem er die Ruhe bewahrte, hat er aus meiner Sicht den größten Teil zu unserer Rettung beigetragen.

Ich selber habe wohl damals nicht erfasst, wie groß die Gefahr tatsächlich gewesen war, erst später, als die Hofbewohner darüber sprachen, wurde es mir klar. In den letzten Jahren ist mir dieser Vorfall oft in den Sinn gekommen und ich musste dabei viel an den alten Mósi denken.

Die Erinnerung an ihn wärmt mein Herz  mehr als vieles andere, was ich erlebt habe, und ich werde ihn nie vergessen, obwohl er jetzt schon seit einiger Zeit tot ist. Die Erinnerung an ihn bleibt mit  dem hier beschriebenen Ereignis verknüpft. Ich werde nie vergessen, wie ruhig er geblieben ist und welche Klugheit er bei diesem Unfall bewiesen hat. In meinen Augen war er mein Lebensretter und nicht der Bauer,  obwohl letztendlich er es  war, der mich aus dem Sumpf gezogen hat.

Auch finde ich es bemerkenswert, dass der Rechen genau in dem Augenblick zerbrach, als Mósi und ich im Sumpf versanken. Wäre dies nicht passiert,  hätte der Bauer sich nicht auf den Weg zum Zelt gemacht und wahrscheinlich hätte man uns dann erst zu spät oder gar nicht entdeckt. Ich habe deshalb immer das Gefühl gehabt, dass damals eine höhere Gewalt im Spiel war, eine Macht, die das Geschick der Menschen mit unsichtbaren Händen steuern kann und durch die sich für uns unverständliche Wege auftun.

Largó

Originaltitel:      Mósa minning.  Dýraverndarinn, 17. Jahrgang 1931, 8. Heft, Seite 65-66

Die Geschichte ist möglichst textgenau aus dem Isländischen übertragen worden, um ihren Charakter nicht zu verändern.

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