Der weltberuhmte Orlow-Traber Kluger Hans aus Russland. Das Foto ist im Jahr 1907 entstanden. Foto/Karl Krall (1863-1929).

Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts richtete sich die Aufmerksamkeit der Menschen vermehrt auf die Intelligenz der Tiere. Das hing sicher u.a. damit zusammen, dass der britische Naturwissenschaftler Charles Darwin kurz zuvor einige Thesen zu diesem Thema veröffentlicht hatte.

Wilhelm von Osten, ein pensionierter Grundschullehrer, hatte sich vorgenommen, die Denkfähigkeit der Pferde zu beweisen. Leider war sein Pferd an Darmverschlingung eingegangen, bevor er sein Ziel erreicht hatte.


Ein „neuer „Hans kommt ins Spiel

Doch Herr von Osten gab nicht auf. Einige Jahre später begann er nach neuen Wegen zu suchen, um Beweise für die Denkfähigkeit von Pferden zu erbringen.

Deshalb reiste er im Jahr 1900 nach Russland, um ein geeignetes Pferd für seine Studien auszusuchen. Er entschied sich für einen fünfjährigen Orlow-Traberhengst, einen Rappen mit Stern, und nahm ihn mit nach Berlin. Dieser wurde nach seinem Vorgänger ebenfalls Hans genannt.

Inzwischen war von Osten Rentner und musste nicht mehr Mathe und Kunst an der Grundschule unterrichten. Er hatte nun endlich Zeit seinen Interessen nachzugehen und konnte seine ganze Aufmerksamkeit auf einem einzigen Schüler, den Orlow-Traber Hans, richten!

Der Kluge Hans im Jahr 1910, etwa 15 Jahre alt. Foto/Karl Krall (1863-1929).


Der vierbeinige Schüler

Recht schnell erkannte von Osten, dass der „neue“ Hans nicht so umgänglich war wie sein Vorgänger, sondern vielmehr temperamentvoll und launisch. Außerdem reagierte er extrem empfindlich auf äußere Reize.

Trotzdem arbeitete er jeden Tag meist mehrere Stunden und bei Wind und Wetter mit ihm und brachte ihm geduldig alles Mögliche bei, viel mehr, als was man normalerweise seinem Pferd beibringt.

Er erarbeitete mit Hans den Unterschied zwischen rechts und links, oben und unten etc. Aber das reichte dem ehrgeizigen Lehrmeister nicht und so begann er damit seinem Schüler das Zählen beizubringen.

Dafür benutzte er kleine Hütchen, wobei die Anzahl der Hütchen jeweils für die entsprechende Zahl stand.

Jede Unterrichtseinheit begann wie folgt:

Von Osten hockte sich neben das Pferd, hob dessen rechten Fuß, zeigte auf das Hütchen und sagte mit fester Stimme „Eins“.

Diese Prozedur wiederholte er stundenlang. Nach einigen Wochen erfolgte der zweite Schritt:
Nun erhöhte er nach und nach die Anzahl der Hütchen und nannte dabei jedes Mal die entsprechende Zahl. In einem letzten Schritt ersetzte er die Hütchen durch große Metallziffern.

„Hans, das ist eins!“ Foto/Karl Krall (1863-1929).

Herr von Osten wurde für seine Mühe belohnt: Nach nicht einmal einem Jahr war Hans in der Lage Zahlen bis 15 durch Scharren mit dem rechten Vorderfuß anzudeuten. Die Grundlage für den Rechenunterricht war somit geschaffen und konnte begonnen werden.


Hans war ein sehr guter „Schüler“ und beherrschte nach nur zwei Jahren alle vier Grundrechenarten (Addieren, Subtrahieren, Multiplizieren und Dividieren).


Aber nicht nur das, Hans konnte schon bald auch Wörter buchstabieren und lesen, verschiedene Farben erkennen, einzelne Töne der Tonleiter heraushören, die Uhrzeit lesen und vieles andere, was Pferde normalerweise nicht können, nicht einmal Zirkuspferde!

„Hans, was sind vier und zwei?“ Foto/Karl Krall (1863-1929).
Ein Teil der Hütchen wurde zunächst mit einer kleinen Schachtel verdeckt. Beim Zusammenzählen lag die Betonung auf UND. Anschließend wurden dem Pferd alle Hütchen gezeigt.


Herr von Osten macht die Wissenschaft auf Hans aufmerksam

Nun war die Zeit für Herrn von Osten gekommen der Welt die Denkfähigkeit seines Pferdes vorzuführen. Er verschickte Briefe an Wissenschaftler in Berlin und Umgebung und lud sie ein, Hans in seinem Hinterhof beim Lesen und Rechnen zu beobachten. Verständlicherweise wurde er nicht ernst genommen und bekam keine Resonanz auf seine Einladung.

Herr von Osten hatte aber nicht vor sich dadurch entmutigen zu lassen und er suchte nach einem anderen Weg auf sein intelligentes Pferd aufmerksam zu machen. Als nächstes versuchte er es mit einem Verkaufsinserat in einer Tageszeitung mit folgendem Text:



„ Hengst zu verkaufen, der mir bei meiner Studie zur Denkfähigkeit und Intelligenz von Pferden als Versuchsobjekt gedient hat.


Er ist 7 Jahre alt, sehr brav, kann lesen und rechnen, erkennt 10 verschiedene Farben und kann noch Vieles mehr!



Informationen bei Hr. W. Osten, Griebenowstraße 10, Berlin.“

„Hans, wo ist blau?“ Foto/Karl Krall (1863-1929).
Hans steht vor verschiedenfarbigen Farbtafeln und berührt mit seiner Nase die Tafel mit der blauen Farbe.

Von Osten hoffte, dass er auf diese Weise Interesse für sein Pferd wecken könnte. Doch die Anzeige erzielte nicht die gewünschte Wirkung, sondern wurde vielmehr als eine Art April-Scherz aufgefasst. Noch einmal änderte von Osten seine Strategie und bot per Anzeige kostenlose Vorführungen des Hengstes bei sich im Hinterhof an.

Nun gab es endlich einen Lichtblick. Ein Offizier wurde auf die Anzeige aufmerksam. Er kam in die Vorführung und war sehr beeindruckt von dem Können des Pferdes. Damit nicht genug: Er verfasste im August 1904 einen begeisterten Artikel, der in der Tageszeitung Weltspiegel veröffentlicht wurde. Dort beschrieb er, wie das Pferd alle ihm gestellten Fragen „beantwortete“, ohne dass sein Lehrer die Möglichkeit gehabt hätte, ihm dabei zu helfen.

Tag für Tag löste das Pferd Kluger Hans zur großen Begeisterung der Zuschauer die unglaublichsten Aufgaben. Foto/Karl Krall (1863-1929).


Hans wird bekannt und bekommt den Spitznamen „Kluger Hans“

Der Artikel stieß auf große Resonanz und die Denkleistung des Pferdes Hans war mit einem Mal in aller Munde. Fast täglich erschienen nun Artikel in den Tageszeitungen über den Klugen Hans, wie er von nun an genannt wurde. Vor dem Wohnhaus in der Griebenowstraße gehörte nun ein Verkehrschaos zum Alltag und der Hinterhof war voller Besucher, die das Wunderpferd sehen wollten.



Anfang September 1904 erschien sogar ein großer Artikel über den Klugen Hans in Amerika in der New York Times mit dem Titel


„Berlin’s wonderful horse! He can do almost everything but talk“


„Das Wunderpferd aus Berlin, das fast alles kann, außer sprechen“.

„Hans, das ist Herr Dohms!“ Foto/Karl Krall (1863-1929).
Eine halbe Stunde später wird das Pferd aufgefordert mit Hilfe der Tafel den Namen des Mannes mit der Nase zu buchstabieren.

Ein Augenzeuge schilderte im Artikel begeistert, wie Hans Gold-, Silber- und Kupfermünzen unterscheidet und deren Wert erkennt, darüber hinaus eine Kostprobe davon gibt, dass er die Bruchrechnung beherrscht und sogar in der Lage ist, Menschen aus dem Publikum oder von Fotos zu erkennen.

Sogar der preußische Kulturminister stattete Hans einen Besuch ab und war anschließend ebenfalls davon überzeugt, dass Hans die Aufgaben ohne Tricks oder Signale von außen lösen konnte.


Die September Kommission

Nun wollte man es genau wissen! Um sicher zu gehen, ob wirklich keine Tricks oder heimlichen Signale im Spiel waren, wurde eine Kommission von 13 Fachleuten zusammengestellt, die aus Psychologen, einem Tierarzt, einem Dompteur, einem Biologen, Pferdetrainern und weiteren Pferdefachleuten bestand.


An zwei Tagen nahm die Kommission den Klugen Hans auch in Abwesenheit seines Lehrers in die Mangel.


Die Wissenschaftler kamen einstimmig zu dem Ergebnis, dass es ausgeschlossen sei, dass Herr Osten Signale oder Tricks im Training vom Hans verwendet hätte.

Wissenschaftler „studieren“ die Denkfähigkeit des Hengstes im Hinterhof des Wohnhauses von Herrn von Osten. Foto/Karl Krall (1863-1929).


Das Rätselraten um die Fähigkeiten von Hans geht weiter

Nach der Bekanntmachung der Kommission wurde die Denkleistung des Pferdes jedoch weiterhin kontrovers diskutiert. Einige vermuteten nun, dass besondere Fähigkeiten aus den Bereichen Okkultismus, Suggestion, Gedankenlesen oder Willensübertragung im Spiel seien.



Ähnliche spektakuläre Fälle befeuerten die Diskussion und führten zu immer weiteren Untersuchungen mit Hans, z. B. die Versuche mit der Hündin Nora.

Dessen Besitzer, ein gewisser Emilio Rendich war es auf ähnliche Weise wie Herrn von Osten gelungen, seinem Tier beizubringen, auf Fragestellungen – in diesem Fall mit Bellen -zu antworten.

„Hans, wie viele Männer haben Mützen auf?“ Foto/Karl Krall (1863-1929).

Rendich hatte über Wochen von Ostens Unterrichtsstunden zugeschaut und mit seiner Hündin auf ähnliche Weise geübt, bis sie schließlich ebenfalls auf Fragen antworten konnte.


Das Rätsel wird gelüftet

Doch auch dieses Beispiel konnte die Zweifel an der Denkfähigkeit von Tieren nicht ausräumen und rief neue wissenschaftliche Forschungen auf den Plan. Nun beschäftigte sich ein Team von Psychologen noch einmal intensiv mit dem Klugen Hans und gab am 9. Dezember das Ergebnis seiner Untersuchungen bekannt. Es lautete:

Das Pferd Der Kluge Hans kann weder lesen noch rechnen!

Diese Erkenntnis war sehr ernüchternd, vor allem für den Besitzer und Lehrer des Pferdes, der sich durch nichts in der Welt von seiner Meinung abbringen ließ, dass sein Pferd denken könne. Doch er blieb damit wohl allein, denn nach Bekanntgabe der neuesten Ergebnisse wurde es schlagartig wieder ruhig in der Griebenowstraße. Das Publikum hatte das Interesse an Hans verloren.

Der Kluge Hans schaut seinem Lehrmeister beim Notizenschreiben zu.
Foto/Karl Krall (1863-1929).

Der Kluge Hans Effekt

Doch wie war es möglich gewesen, dass das Pferd zahlreiche Fragen richtig beantwortet hatte, was durch unzählige Zuschauer bestätigt worden war, wenn es doch nicht denken konnte? Hierauf hatten die Wissenschaftler eine überzeugende Antwort gefunden:
Ein wichtiger Bestandteil ihrer Versuchsreihe war es gewesen, das Pferd bei der Befragung von seiner Umwelt zu isolieren, ja es sogar bisweilen mit Scheuklappen auszustatten, um die Möglichkeit von optischen Hinweisen komplett auszuschalten. Weiterhin stellte man dem Pferd Fragen, dessen Antworten noch nicht einmal der Fragesteller selbst kannte. Unter diesen Bedingungen versagte das Pferd.


Die Psychologen interpretierten das Ergebnis ihrer Versuche wie folgt: Das Pferd hatte gelernt, auf kleinste, vielleicht sogar unbewusste Veränderungen in der Körperhaltung des Fragestellers zu achten und daraus einen Hinweis für die Antwort zu entnehmen.


Die Wissenschaftler vermuteten, dass die Fragesteller beim Fragen unbewusst eine gespannte Körperhaltung eingenommen hatten, die bei richtiger Antwort durch das Pferd durch Entspannung abgelöst worden war.

„Hans, das ist gerade!“ Foto/Karl Krall (1863-1929).
Herr Osten unterrichtete das Pferd Hans einge Jahre weiter bis er selber schwer erkrankte.

Das Tier, so vermuteten sie, habe nicht selbstständig gedacht, sondern auf diese Signale der Körpersprache reagiert. Angetrieben wurde es durch die Aussicht auf eine Belohnung in Form von einem Stück Brot oder einer Mohrrübe.

Diese Erkenntnisse sind in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen und haben der experimentellen Psychologie und der Tierpsychologie zum Durchbruch verholfen.


Ein niederschmetterndes Ergebnis

Nachdem das Rätsel gelöst war, wurde es ruhig um den Klugen Hans. Doch sein Besitzer unterrichtete ihn weiter. Halsstarrig hielt er an seiner Lebensaufgabe fest, die Öffentlichkeit von der Denkfähigkeit seines Pferd zu überzeugen.



Er zog es sogar in Betracht, den Klugen Hans ins Ausland zu verkaufen oder sogar zu verschenken, wenn man ihm dort die verdiente Anerkennung zuteilwerden ließe. 



Doch bevor es dazu kam, erkrankte Herr Osten an Leberkrebs und verstarb verbittert im Juni 1909. Bis zu seinem Tod war er von der Denkfähigkeit seines Pferdes Hans überzeugt.



Die Schuld an seinen Misserfolgen gab er der Launenhaftigkeit des Pferdes und seiner Krankheit, die verhindert hatte, dass er die Welt durch neue Ergebnisse von den Fähigkeiten seines Pferdes überzeugen konnte.

„Es war ruhig um den Klugen Hans geworden, nachdem das Ergebnis der Untersuchung bekannt geworden war. Herr von Osten und die gesamte Nachbarschaft waren allerdings weiterhin davon überzeugt, dass der Kluge Hans sowohl lesen als auch rechnen konnte.“ Foto/Karl Krall (1863-1929).
Der Kluge Hans mit Karl Krall. Foto/Unbekannt.
Im Jahr 1909 nach dem Tod von Herrn Osten, ist Kluger Hans in den Besitz von Karl Krall gegangen.


Wie ging es für den Klugen Hans weiter?

Auf dem Sterbebett verfügte Herr von Osten, dass Hans in den Besitz von Herrn Krall übergehen sollte. So wurde das Pferd kurz nach seinem Tod nach Elberfeld in Westfalen transportiert, wo sein neuer Besitzer auf seiner „Versuchsstation“ weitere Versuche mit ihm und einigen anderen Pferden durchführte.

Im Jahr 1912 veröffentlichte Karl Krall sein Buch mit ausführlichen Beschreibungen der Versuchsreihen, die er selbst und vor ihm Herr von Osten durchgeführt hatten.

Seine Motivation für dieses Buch formulierte er wie folgt:

„Meine Unterrichtsversuche mit eigenen Pferden habe ich unternommen, um die Entdeckung von Herrn von Osten vor dem Untergang zu bewahren.“

Karl Krall, Denkende Tiere, Leipzig 1912, Seite 243

Denn Herr von Osten hat selbst nie etwas zu seinen Versuchen aufgeschrieben oder veröffentlicht. Nicht einmal Eintrittsgelder hatte er für seine Vorführungen mit Hans verlangt.

Karl Krall im Jahr 1910 mit seinen Hengsten Muhamed und Zarif, die ebenfalls gelernt hatten zu lesen und zu rechnen. Foto/A. Bender

Trotz eines Untersuchungszeitraums von insgesamt siebzehn Jahren konnte auch Krall die Welt nicht von der Denkfähigkeit der Pferde überzeugen. Aber die Versuche waren dennoch von Wert: Sie verhalfen zu entscheidenden Erkenntnissen in der experimentellen Psychologie und der Tierpsychologie.

Im Jahr 1916 wurden alle Pferde in Kralls Besitz für den Krieg eingezogen. Das galt auch für den Klugen Hans, der zuvor wenigstens noch einige Jahre Rente bei seinem neuen Besitzer genießen durfte.

Sein weiteres Schicksal ist unbekannt!

Muhamed, Zarif und Kluger Hans warten vor dem „Unterrichtsraum“ in Elberfeld. Foto/Karl Krall.
Araberhengst Zarif mit Karl Krall im Jahr 1909, lernt das buchstabieren. Foto/Unbekannt.

QUELLEN:

  • Karl Krall, Denkende Tiere, Leipzig 1912
  • Oskar Pfungst, Das Pferd des Herrn von Osten (Der kluge Hans). En Beitrag zur experimentellen Tier- und Menschen Pshychologie, Leipzig 1907
  • www.wikipedia.org
  • Fotos aus dem Buch vom Karl Krall, Denkende Tiere, Leipzig 1912

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