Immer wenn ich auf Pferdeshows sehe, wie Pferde die unglaublichsten Dinge vorführen, denke ich darüber nach, wie man ihnen so etwas beibringen kann und wo ihre Grenzen liegen. Bisher habe ich nicht versucht, meinen Pferden mehr beizubringen als die notwendigen Hilfen für einen unkomplizierten, unfallfreien Umgang, um u.a. die gemeinsamen Ausritte problemlos genießen zu können.
Trotzdem haben mich die Psyche und das Verhalten der Pferde schon immer interessiert. Dabei hat mich besonders das Zusammenspiel zwischen den sogenannten Pferdeflüsterern und ihren Pferden fasziniert.
Neulich bin ich dann auf einen interessanten Artikel gestoßen, der alles, was ich bisher dazu gesehen oder gelesen hatte, übertraf. Ich war so begeistert von der Geschichte, dass ich alle weiteren Informationen, die ich zu diesem Fall finden konnte, regelrecht aufgesogen habe.
Und ich bin nicht die Einzige, die die Geschichte kaum glauben konnte: Im Sommer 1904 waren das Pferd der Kluge Hans und sein Besitzer Wilhelm von Osten das wichtigste Gesprächsthema in ganz Berlin.
Auch wenn, anders als sonst bei mir, nicht ein Islandpferd die Hauptrolle spielt, glaube ich, dass auch unsere HestaSaga-Leser diese Geschichte lieben werden.
Das Pferd Hans und die Ideen des Herrn von Osten
Wilhelm von Osten interessierte sich brennend für die Denkfähigkeit der Pferde. Seine Neugier war durch eine erstaunliche Beobachtung geweckt worden, die er eines Tage bei seinem Pferd Hans machte, das seit 1888 in seinem Besitz war.
Herr von Osten wohnte im nördlichen Berlin in der Griebenowstraße 10 in der Nähe des Bezirks Prenzlauer Berg. Im Hinterhof eines fünfstöckigen Hauses hielt er sein Pferd. Zu dieser Zeit war es nicht ungewöhnlich, Pferde in der Stadt zu halten, wobei es eher selten war, dass Privatleute ihr Pferd direkt am Haus halten konnten.
Als Herr von Osten eines Tages in seiner Kutsche von einer Spazierfahrt nach Hause kam, bemerkte er, dass sein Pferd Hans unaufgefordert einen großen Bogen machte, damit die Kutsche problemlos durch die schmale Einfahrt kam. Osten war sich sicher, dass dieses Verhalten zeigte, dass Pferde zum selbstständigen Denken fähig sind. Er begann sich von nun an für diese Idee zu begeistern und suchte nach Wegen, die seine These stützten.
Die „Unterrichtsstunden“ von Herrn von Osten
So begann er 1890 seinem Pferd Hans diverse Begriffe beizubringen. Dafür benutzte er Methoden, die sonst bei Kleinkindern verwendet werden, um ihnen das Sprechen beizubringen.
Als erstes versuchte er Hans die Unterscheidung zwischen rechts und links beizubringen. Dazu lockte er den Kopf des Pferdes mit einem Stück Möhre, Brot oder Zucker in eine Richtung und wiederholte gleichzeitig den Satz:
„Hans, das ist rechts!“ oder „Hans das ist links“, wenn es nach links ging.
Weiter ging es mit „oben“, „unten“, „vorwärts“ und „anhalten“.
Schon bald konnte Herr von Osten alle gelernten Begriffe bei Hans selbst in Bewegung allein mit seiner Stimme abrufen.
„Hans, bieg nach links!“
Man erzählte sich, dass Herr Osten eines Tages mit einem hochrangigen Offizier in seiner Kutsche unterwegs war und zu ihm gesagt haben soll:
„Major Keller, nun will ich Ihnen einmal zeigen, was mein Hans alles kann!“. Anschließend soll er die Zügel am Wagen befestigt und dem Pferd befohlen haben:
„Hans geh rechts! Hans, bieg links in die Straße ein! Trab! Mach halt!“
Das Pferd soll alle Befehle verstanden und richtig umgesetzt haben.
Ostens nächstes Ziel war es, dem Pferd das Zählen beizubringen. Hans lernte die Zahlen bis fünf, doch sein plötzlicher Tod legte die Unterrichtspläne seines Herrn erst einmal für einige Zeit auf Eis: Hans starb plötzlich an einer Darmverschlingung. Er wurde zwölf Jahre alt, fünf davon war er im Besitz von Herrn von Osten gewesen.
Dieser gab nicht auf und träumte weiterhin davon, der Welt beweisen zu können, dass Pferde tatsächlich denken können.
Fortsetzung folgt nächste Woche
Text und Bildquelle:
- Karl Krall, Denkende Tiere, Leipzig 1912