Die harte Zeit nach der Flucht aus Schlesien

Im Januar bei eisigen Temperaturen hatte die Flucht im Pferdewagen in Westpreußen begonnen, im Mai kam die Familie völlig entkräftet  in Norddeutschland in der Nähe von Cuxhafen an. Die erste Zeit war hart, aber man war mit dem Leben davongekommen, nur das zählte in diesem Augenblick.


Wie alle Flüchtlinge wurde auch die Familie Hess zunächst bei den umliegenden Bauern einquartiert. Die meisten öffneten ihre Türen den von den Strapazen der Flucht völlig erschöpften, halb verhungerten, zerlumpten und häufig kranken Menschen nicht freiwillig.

Misstrauen, Ablehnung, ja manchmal sogar Hass schlug ihnen entgegen, daran erinnert sich Jakob genau, obwohl er damals gerade mal drei Jahre alt war.

Aber viele Menschen teilten dieses Los, und wieder waren es ihre Stuten, die das Leben für die Familie ein wenig erträglicher machten. Sie  arbeiteten beim Bauern auf dem Feld und dafür gab es zwei Liter Milch extra.

In einem Schafstall in Süderleder bei Stade fanden Mutter, vier Kinder und die alten Großeltern schließlich ihre ersten eigenen vier Wände. Auch auf dieser Etappe unterstützen die Pferde die Familie im Überlebenskampf:

Sie wurden im Süderländer Moor zum Eggen, Pflügen und Torffahren eingesetzt, erneut schwere Arbeit für die Tiere bei kärglichem Futter – aber für die Familie gab es dafür Extrarationen.

Was diese Pferde geleistet haben, kann man sich heute kaum noch vorstellen. Welcher Rasse sie angehörten, weiß Jakob gar nicht genau.

Wahrscheinlich waren es Trakener, spekuliert er, denn davon gab es in seiner alten Heimat viele. Ihre Zähigkeit, Ausdauer, Kraft und Leistungsbereitschaft trotz widrigster Umstände waren wirklich phänomenal!

Dass eine der beiden Stuten in dieser Zeit noch ein gesundes Fohlen zur Welt brachte, grenzt fast an ein Wunder: Niemand hatte bemerkt, dass sie tragend war.

In diesem Zustand hatte sie zunächst die Strapazen der Flucht und später die schwere landwirtschaftliche Arbeit überstanden, bis eines Morgens völlig unerwartet ein Fohlen neben ihr stand. Neues Leben auf der Weide – Was für eine Freude und gleichzeitig eine Botschaft der Hoffnung?

Das freudige Ereignis machte jedenfalls allen Mut, und weil beide Stuten sich als so wertvolle Partner in den schwierigen Jahren des Neubeginns bewiesen hatten, erschienen sie geeignet für eine eigene kleine Zucht: Familie Hess zog noch neun weitere Fohlen aus ihnen – alles Prachtexemplare wie ihre tapferen Mamas!

1 Kommentar

  1. Nonnifan Friederika am 9. Februar 2019 um 20:14 Da kommen mir wirklich die Tränen bei der Vorstellung, was diese treuen Tiere überstanden und geleistet haben – zusammen mit ihren Menschen!
    Danke, dass ihr diese Kriegserfahrungen mit uns teilt – die meisten Leser können sich diese harten Kriegsjahre doch überhaupt nicht vorstellen! Solche Berichte sind meines Erachtens bestens geeignet für die Forderung: „Nie wieder Krieg!“
    Und wie aktuell gerade diese Geschichte ist – wenn ich dabei an das Schicksal der heutigen Flüchtlinge denke…
    Ich war übrigens auch ein Flüchtlingskind – 1945, aber wir hatten das Glück, dass wir zu unseren Großeltern im Westen flüchten konnten.
    Danke, dass ihr diese Problematik in der Geschichte aufgreift

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